Haushaltsrede unserer Fraktionssprecherin – Anja Wirtherle – zur Sitzung des Gemeinderats Sinsheim Verabschiedung des Haushaltes für das Jahr 2020

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Albrecht, liebe Kolleginnen und Kollegen des Gemeinderates, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung , sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger,

unsere Stadtverwaltung hatte es diesmal besonders schwer: sehr viele neue Köpfe im GR. Fragen, die den langjährigen längst klar sind, immer wieder Klärungsbedarf. Ganz herzlich bedanken möchten wir uns bei unserem Oberbürgermeister und allen Mitarbeitern der Verwaltung. Sie sind mit Geduld und Freundlichkeit auf alle Fragen eingegangen, haben neue Vorschläge abwogen, und oft auch angenommen.

Wir freuen uns da sehr über den Probelauf zur kostenfreien

• Stadtbusnutzung an den 4 Advents-Samstagen,
• verschiedene Übergänge für Radfahrer und Fußgänger die verwirklicht werden sollen, z.B. beim Würfelhof.
• Erfreulich auch die Zusage des OB, dem GR einen Entwurf zur Steuerbefreiung von Tierheimhunden vorzulegen.
• Besonders froh sind wir über die Pläne der Verwaltung, Anfang nächsten Jahres Anträge für die Bezuschussung eines Klimaschutzmanagers zu stellen.

Was uns bei den Haushaltsberatungen aber schnell klar wurde: der Gestaltungsspielraum für uns Neue geht gegen null. Das ist auch der Hauptgrund dafür, dass wir uns bei der Abstimmung enthalten werden. In der Pipeline sind viele wichtige Dinge, die fertiggestellt werden müssen, die meisten davon sicher notwendig oder sogar zwingend,
wie z.B. Brückensanierungen, oder der Ausbau der Glasfaserversorgung.

Aber klar ist auch: für uns Grüne gibt es zwei wichtige Themenbereiche, die viel zu wenig vorkommen: Sie werden es nicht anders erwarten: es ist zum einen das reale Klima, das bekanntermaßen immer wärmer wird.

• Ausgetrocknete Böden,
• Starkregen,
• aufgeheizte Städte und Plätze,
• kaputter Wald wie noch nie da gewesen.
• Täglich Berichte in allen Medien über immer neue Negativ-Rekorde.

Aber da ist zum anderen das soziale, das zwischenmenschliche Klima. Und das wird zunehmend rauer, kälter.

• Gesellschaftliches Miteinander immer schwieriger.
• Sachliche Diskussionen über kritische Themen sind oft nicht mehr möglich.
• Streit eskaliert schnell, auch gegenüber unseren Polizisten, der Feuerwehr, den Hilfskräften.

Auf dieses Klima möchte ich zuerst eingehen.

Der Sozialbereich erfordert auch heute schon hohe Investitionen. Wir finanzieren Schul- und Jugendsozialarbeit, Kitas und Kindergärten und gut ausgestattete Schulen Das alles sind ganz klar lohnende Investitionen in die Zukunft. Nicht nur sozial, sondern auch wirtschaftlich.

Jedes Kind das „auf der Strecke bleibt“, jeder Zugewanderte, bei dem die Integration nicht gelingt, jeder Jugendliche der abgehängt wird, bringt sich nicht mehr in die Gesellschaft ein und kostet uns ein Vielfaches.

Je früher und besser unser System der Hilfeangebote, umso wirkungsvoller. Und umgekehrt setzen sich sonst Probleme in den Familien oft über Generationen fort.

Ein gutes Bildungs- und Sozialsystem ist die beste Prävention gegen die Verrohung der Gesellschaft. Das erspart der Gesellschaft viele Folgekosten, auch direkt uns als Gemeinde z.B. bei den Themen Vandalismus, illegale Graffiti oder auch Müll auf den Straßen.

Leider hat sich in unserem Verwaltungssystem eingebürgert, sich die Kosten gegenseitig zuschieben zu wollen. Von der Gemeinde zum Kreis, vom Kreis zum Land, vom Land zum Bund usw.

Manche Zuständigkeiten sind klar geregelt, es gibt aber eben auch vielfältige Überschneidungen und verschieden auslegbare Regelungen. Sonst müsste man über die Kostenübernahme nicht so oft streiten.

Wir wünschen uns mehr Betrachtungen des Großen Ganzen. Das Geld, das unser Staat ausgibt, ist immer unser aller Geld, egal, ob Bund, Land oder Kommune. Von Investitionen in die Zukunft profitieren unter dem Strich auch wir alle. Und damit hätten wir auch manchmal von kreativen Lösungen mehr als von langwierigen Diskussionen über Zuständigkeiten, mit am Ende schalen Kompromissen.

Ein Beispiel ist unser Mangel bei den Kindergarten- und Krippenplätzen. Hier wünschen wir uns

• eine enge Zusammenarbeit mit dem Kreis, der für die Ausbildung von Tagesmüttern und -vätern zuständig ist.
• Wir sollten Räume zur Verfügung stellen um entsprechende Kurse besonders in Sinsheim anbieten zu können und diese Kurse groß angelegt bewerben.
• Die Kosten, auch für die Ausbildung der Tagespflegepersonen, könnte die Stadt übernehmen.
• Parallel könnten wir kostenfreie Beratungen anbieten für den Sprung in die Selbständigkeit auf diesem Gebiet.
• Und bei Planungen und der Raumsuche für Großtagespflegestellen intensiv unterstützen.

Das alles bewahrt uns natürlich nicht davor, noch mehr als bisher in den Kitaausbau zu investieren, mildert aber vielleicht zumindest unsere Defizite auf diesem Gebiet etwas ab.

Auch in der Theodor-Heuss-Schule brauchen wir dringend eine Verbesserung der begleitenden sozialen Arbeit. Herr Töniges hatte es in der letzten Grünen Haushaltsrede schon ganz oben auf der Mahnliste. Leider ist man aber auch hier vor allem damit beschäftigt, sich die Zuständigkeiten gegenseitig zuzuschieben.

Wir fordern: Kreis, Land und Gemeinde müssen sich zügig zusammentun und als erstes das Wohl der Kinder in den Blick nehmen. Wir sollten nicht warten, bis sich ein echter Brennpunkt entwickelt hat.

Was die Sozialleistungen für die Beschäftigten in unserer Verwaltung angeht hat Sinsheim einen besonders guten Ruf. Das begrüßen wir ausdrücklich.

Wir stehen auch voll hinter den gestiegenen Personalkosten im Haushalt, denn wir halten ausreichendes und gut bezahltes Personal für die Grundvoraussetzung einer funktionierenden Verwaltung.

• Das motiviert die Mitarbeiter, stärkt ein gutes Betriebsklima.
• Das wiederum führt in einer Stadt auch zur Kundenfreundlichkeit.
• Gut gelaunte Stadtteilarbeiter und Rathausmitarbeiter, ein zugewandter OB, wirken mit ausgleichend auf das gesellschaftliche Klima.

Auch positiv auf unseren Umgang miteinander wirkt natürlich das fantastische vielfältige Engagement, das viele unserer Sinsheimerinnen und Sinsheimer mitbringen. Als Beispiele seien hier die Heimattage genannt. Und der Flohmarkt in der Elsenzhalle , besonders sinnvoll, weil er Nachhaltigkeit mit Sozialem vereint. Ganz anders, aber deshalb nicht weniger wichtig, auch das Engagement unserer Fridays for future- Jugend für die Umwelt.

Und damit kommen wir zurück zum „realen Klima“, dem kritischsten Thema unserer Zeit. Für uns Grüne ist es seit langen Jahren eins unserer Kernthemen und mittlerweile ist es überall angekommen:

Ursula von der Leyen, nicht Grünverdächtig, möchte, dass Europa eine Führungsrolle im Kampf gegen die Erderwärmung einnimmt. Unsere Bundesregierung schnürt ein Klimapaket, wenn auch viele es nur als Päckchen bezeichnen. Und auch unser OB nennt als einen Schwerpunkt der nächsten Amtsperiode den Klimaschutz.

Anderseits gibt es selbst in unseren Gemeinderatsreihen Zweifel am menschgemachten Klimawandel. In manchen Kreisen geht der Trend momentan wieder dahin, die Warnungen der vielen namhaften WissenschaftlerInnen als Hysterie und Panikmache zu verunglimpfen. Vielleicht eine Art Selbstschutz, um eigene Ängste abzuwehren?

Wir alle würden uns natürlich sehr freuen, wenn die Klimamodelle falsch berechnet sind. Wenn sich alles als harmlos herausstellt. Aber dafür sind leider in den letzten Jahren schon zu viele Prognosen eingetroffen – ja sogar im negativen Sinne übertroffen worden.

Wir können nicht mehr „abwarten“ und schauen, ob das auch tatsächlich so schlimm kommt! Wir nähern uns den von der seriösen Wissenschaft als Kipp-Punkte beschriebenen Stadien, nach deren Überschreitung eine unumkehrbare Entwicklung eingeleitet wird.

Und deshalb brauchen wir beim Klimaschutz eine echte Richtungsänderung. Vieles ist angedacht, aber eine echte Trendwende ist nicht in Sicht. Auch nicht bei uns hier in Sinsheim.

Der Verkehrsexperte, der uns Gemeinderatsmitgliedern die umfassenden Verkehrsuntersuchungen für Sinsheim vorgestellt hat, erklärte uns: ein junger Verkehrsplaner von heute erlebt in der Regel nicht die Realisierung seiner Projekte. So lange sind die Zeiträume in denen wir denken müssen! Das fordert Visionen für die Zukunft! Wir müssen uns in Sinsheim endlich abwenden vom Konzept der autogerechten Stadt. Radverkehr und ÖPNV müssen drastisch ausgebaut werden! Die Parkgebühren müssen teurer werden. Nehmen wir das Beispiel Adersbach: 10 min. mit dem PKW in die Stadt (vorausgesetzt ich bewege mich nicht noch weitere 10 min im Parkplatzsuchverkehr) und 60 Cent für eine Stunde Parken. Dagegen stehen 5,20 € (hin und zurück) mit dem Bus, jede Fahrt 30 min. Auch das Fahrrad ist aus den Bergdörfern keine Alternative. Entlang einer oft unübersichtlichen Landstraße mit PKW-Geschwindigkeiten z.T. über 100 km/h zumindest nachts ganz klar lebensgefährlich. Leider kein Radweg, auch kein Feldweg.

Fahrradfahren muss unbedingt schnellstmöglich in unserer Gemeinde überall gefahrlos sein. Und noch mehr: es sollte richtig Spaß machen! Hätte man in den letzten Jahren nur einen Bruchteil des Geldes verbaut, das in den Straßenbau geflossen ist könnte unsere Gemeinde ganz anders aussehen! Unsere sehr aktive Radagenda drängt da ja schon lange auf Verbesserungen.

Deshalb sind wir Grüne auch gegen die Vergrößerung der Durchfahrt bei der Bahnüberführung im Wiesental… in Sinsheims beliebtestem Naherholungsgebiet! Diese Maßnahme, die mindestens 1,5 Millionen Euro kosten soll, öffnet das vordere Wiesental für den Lastverkehr. In so einem an sich eher verkehrsberuhigten Bereich eine Katastrophe!

Anstatt eine Ausweitung des Verkehrs brauchen wir hier eine Fahrradstraße. Der PKW-Verkehr sollte sich unterordnen, der Lastverkehr ganz verboten bleiben. Die Bahnunterführung in der aktuellen Breite und Höhe bietet hierfür eine ganz natürliche Barriere für zu schnelle Durchfahrt und zu große Fahrzeuge. Wir wollen diese nicht aufgeben!

Aber stattdessen: Zukunftsweisend wieder nur in Richtung Motorisierung. Grundplanung für die Querspange als Verbindung zwischen Hauptstraße und Neulandstraße. Alle Visionen vom Kraftfahrzeug dominiert!

Möchten wir denn tatsächlich davon ausgehen, dass wir noch in 30 oder mehr Jahren alle in einzelnen Fahrzeugen unterwegs sind?

Zumal mehr Umgehungen und Umfahrungen nicht das Problem von insgesamt zu viel Verkehr lösen. Mehr Straßen bedeuten auch immer wieder mehr Verkehr, eine Entlastung ist immer nur von kurzer Dauer. „Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten“, das ist schon lange bekannt.

Ich kann es nur nochmal betonen: Das Autofahren muss unattraktiver werden! Im Gegenzug müssen alle anderen Verkehrsmittel wesentlich aufgewertet werden.

Wenn es eine wirkliche Alternative gibt wird diese auch genutzt. Das sieht man in urbanen Gebieten. Dort haben viele, vor allem junge Menschen, den PKW als Statussymbol längst beerdigt.

Wir fordern deshalb in künftigen Haushaltsplänen einen deutlichen Ausbau unseres Stadtbusangebots. Keine Straßengroßprojekte mehr! Stattdessen jährliche stetige Verbesserungen beim Fuß- und Radverkehr.

Wir brauchen Radwege in alle Stadtteile, dazu sollten wir Kreis und Land drängen und selbst so viel wie möglich dazu tun. Auch hier wieder: kein gegenseitiges Zuschieben der Kosten, sondern schnelles Handeln ist gefragt. Ich denke da z.b. an die Klärung der Besitzverhältnisse.

Endlich gibt es jetzt für Sinsheim ein ganzheitliches Verkehrsgutachten für ein Entwicklungskonzept, es wurden uns bei der Klausurtagung vorgestellt. Ein Versprechen der Verwaltung für das nächste Jahr: es werden nun verschiedenste Ideen im Modell geprüft und dem Gemeinderat zur Entscheidung vorgelegt. Darauf freuen wir uns, denn wir sind überzeugt, dass auch unsere Verwaltung die Zeichen der Zeit erkannt hat. Wir glauben daran, dass uns alternative Modelle vorgelegt werden, die eine Verkehrswende möglich machen und wünschen uns allen, dass sich dafür dann auch Mehrheiten finden.

Denn wenn wir nicht umdenken wird die Gestaltung des Haushalts bald überwiegend vom Klimawandel bestimmt werden. Schon jetzt haben wir erhebliche Defizite bei der Waldwirtschaft. Und für Hochwasserschutz stehen für 4 Jahre fast 8 Millionen Euro in unserem städtischen Haushalt.

Wir brauchen eine klare Zukunftsvision für Sinsheim – ein Bekennen zum Klimaschutz als oberste Priorität. Darauf sollten unserer Meinung nach auch alle zukünftigen Haushaltspläne ausgerichtet sein!

Positive Auswirkungen hätte da unser Antrag von vorletzter Woche, in dem wir fordern, alle Ausschreibungen künftig konsequent klimafreundlich auszurichten. Wir hoffen natürlich auf ihre breite Zustimmung, liebe Kolleginnen und Kollegen. Von der Verwaltung kamen bereits positive Signale.

Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass unser Sinsheim nicht nur durch unsere attraktiven Einrichtungen modern und innovativ erscheint. Modern sind heute Städte, die ausstrahlen, lebenswert zu sein. Das zeichnet sich vor allem aus durch

• viel Grün,
• guten ÖPNV,
• wenig Verkehrslärm,
• viel Engagement für ein soziales Miteinander und
• Plätze für persönliche Begegnung.
• Ein gutes Kulturangebot und belebte Innenstädte haben zusätzlich ihre Wirkung. Übrigens einer der Gründe, gegen ein Outletcenter in der Neulandstraße zu sein, das die Kaufkraft aus der Innenstadt abzieht.

Überlegen Sie selbst: was gefällt Ihnen, was bleibt Ihnen in Erinnerung, wenn Sie eine fremde Stadt besuchen! Sie sind zudem noch ganz entspannt mit dem Zug angereist und waren nach dem Aussteigen sofort mittendrin? Sie mussten keinen Parkplatz suchen und konnten auf ruhigen Plätzen unter schattigen Bäumen ein Viertele genießen? Das ist gelebter Klimaschutz (am besten wenn das Viertele vom Steinsberg kommt).


Hier müssen wir uns hinbewegen. So sind wir auch attraktiv für neue Menschen in Sinsheim. Und zwar nicht nur für Besucher, sondern vor allem für unsere Sinsheimerinnen und Sinsheimer… und solche die es werden wollen.

Zum Schluss noch unsere Vision für die nahe Zukunft: wir stellen noch im Jahr 2020 einen Klimaschutzmanager ein. Und gehen den Prozess des gelebten Klimaschutzprozesses genauso beherzt und strukturiert an wie den Prozess der Heimattageplanung.

Workshops, Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern, Handel, Industrie. Generieren von Spenden für besonders dringende Projekte.

Gemeinsame Anstrengungen von Gemeinderat, Verwaltung und Bevölkerung. In leidenschaftlicher Zusammenarbeit für ein gemeinsames Ziel. Das wünschen wir uns.

Vielen Dank

von Anja Wirtherle, Fraktionssprecherin Bündnis90/Die Grünen, Sinsheim

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