Reisebericht von Fotojournalist Erik Marquardt stieß auf großes Interesse
Auch Marquardt ist Politiker der Grünen. Er war Sprecher der Grünen Jugend bis er 2015 Mitglied des Parteirats wurde. Erst Anfang 2017 war er erneut in Afghanistan und hat dort die Sicherheitslage und die Situation der Geflüchteten dokumentiert. Der Politiker lenkt den Blick über die aktuelle Frage der Abschiebungen hinaus auf die schwierige Situation im Land selbst und fragt: „Welche Lösungen kann man vor Ort anbieten?“
Der Fotograf schildert die Situation aus eigener Anschauung und zeigt eindrucksvolle Fotos, die das zerrüttete Land und seine leidgeprüften Menschen lebendig werden lassen. Große Teile des Landes würden von den Taliban oder regionalen Warlords kontrolliert.
Schon am Flughafen wird deutlich: Kabul ist eine hoch militarisierte Stadt. Es gibt viele Attentate und Selbstmordanschläge. Da es auf den Straßen zu gefährlich ist, reisten Viele vom Flughafen mit dem Hubschrauber weiter. Wer es sich leisten könne, baue hohe Mauern, Zäune und Geschütztürme um sein Haus und beschäftige Sicherheitspersonal.
Innerhalb von 13 Jahren sei die Stadt von einer Million auf fünf Millionen Einwohner gewachsen, entsprechend groß sei das Elend. Tagelöhner müssten sich für zwei bis drei Euro pro Woche verdingen und ihre Kinder zum Arbeiten oder Betteln auf die Straße schicken. Die wirtschaftliche Not dränge die Menschen zu den Konfliktparteien.
Mit Blick auf die existenziellen Nöte stellt er die Unterscheidung so genannter Wirtschaftsflüchtlinge in Frage: „Ob es die Not ist, die einen tötet, oder die Taliban, macht für den Einzelnen keinen Unterschied.“
Die Frage, ob Deutschland alle 60 Millionen Menschen, die weltweit auf der Flucht sind, aufnehmen könne stelle sich gar nicht, denn nur die wenigsten fliehen nach Europa, macht er deutlich. „Begriffe wie Flüchtlingswelle, -lawine und -flut entmenschlichen und verdecken, dass es um Menschen geht und nicht um Naturkatastrophen“, so Marquardt weiter.
Wie in anderen Krisenregionen der Welt seien auch in Afghanistan die meisten Menschen innerhalb ihres eigenen Landes oder in Nachbarländer vertrieben. In einem Lager haben ihm Angehörige der Hazara, einer verfolgten Minderheit, ihre Situation geschildert. Dort sind ihm eindrucksvolle Portraits gelungen. Gesichter, von einem schwierigen Leben gezeichnet, in denen sich Leid und Hoffnung spiegeln.
„Werden die 15,2 Milliarden Dollar aus dem Rücknahmeabkommen der EU mit der Gießkanne verteilt?“, fragt ein Teilnehmer der Diskussion. „Das Konzept der UNHCR kann nicht umgesetzt werden da die Sicherheitslage zu prekär ist“, so Marquardt. Effektiver sei es, bestehende Ansätze und Initiativen vor Ort zu unterstützen. Wenn in Deutschland Asylsuchende integriert und ausgebildet werden, könnten sie nach ihrer Rückkehr dazu beitragen, ihr Land aufzubauen.
„Wir als Landtagsfraktion haben es geschafft, eine Regelung zu schaffen, die bundesweit einmalig ist“, betont Abgeordneter Katzenstein. Es geht um eine Bleiberechtsregelung für gut integrierte Geflüchtete. „Die Behörden müssen nun die Betroffenen von sich aus darauf hinweisen, das geschah zuvor nicht.“ Diese Regelung gelte im Übrigen nicht nur für Afghanen.
Die meisten seien erst zwei Jahre hier und hätten noch keine Ausbildung beginnen können, lautet ein Einwand. Ein 18-jähriger Afghane meldet sich in fließendem Deutsch zu Wort. Er mache dieses Jahr seinen Hauptschulabschluss und habe bereits einen Ausbildungsvertrag für August unterschrieben. „Was muss ich tun wenn ich einen Ablehnungsbescheid bekomme?“, fragt er. Er solle mit dem Vertrag sofort zur Ausländerbehörde gehen, rät ihm Katzenstein und stellt klar: „Der Anspruch auf eine Ausbildungsduldung gilt, sobald ein Vertrag für eine qualifizierte Ausbildung geschlossen wurde.“
Für die grün geführte Landesregierung gelte es, weiterhin Druck auf den Bund zu machen, damit er die Sicherheitslage in Afghanistan neu bewertet. Eine Teilnehmerin fordert einen Abschiebestopp. Diskutiert wird auch die Frage, ob man Straftäter und Gefährder tatsächlich abschieben sollte. Da die Regierung in Kabul nicht informiert wird, sieht Marquardt die Gefahr, dass die afghanische Zivilbevölkerung gefährdet wird. „Das kann auch ein Minister Strobl schwer vertreten.“
Bild: Marquardt, Katzenstein
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