Haushaltsrede 2012

Die Grünen im Gemeinderat Sinsheim, HAUSHALTSREDE 2012
Entwurf, es gilt das gesprochene Wort. 

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Geinert,
sehr geehrter Herr Bürgermeister Keßler,
sehr geehrte Ratskolleginnen und -kollegen,
wertes Auditorium!

Die finanzielle Situation der Stadt Sinsheim scheint sich zwar langsam zu entspannen, ein Grund zur Freude stellen die aktuellen Zahlen allerdings noch nicht dar. Wie schnell sich die Bedingungen in der Wirtschaft und auf dem Finanzsektor ändern können, haben wir in den letzten Jahren alle als Auswirkungen auf die kommunalen Finanzen deutlich zu spüren bekommen. Ganz ohne flaues Gefühl im Magen stellt sich der Haushaltsentwurf also nicht dar.

Da immer wieder das Wort „sparen“ genannt wird: Sparen bedeutet im ursprünglichen Sinne das Zurücklegen von Etwas, was man zur Genüge – also in mehr als ausreichender Menge hat. Beim jetzigen Schuldenstand und eingebrochenen Einnahmen kann daher nicht von Sparen, sondern muss von Verzicht gesprochen werden. Eingehen möchte ich zu Beginn aber kurz auf meine Vorredner. Auch wir Grüne scheuen uns ganz sicher nicht vor Kritik an politischen Zielsetzungen oder Vorschlägen der Verwaltungsspitze, was oftmals zu heftigen Diskussionen im Gremium führt. Aber die Entscheidungen, die Beschlüsse sind nicht von der Verwaltungsspitze abhängig, sondern von Mehrheiten im Gemeinderat. Und gerade große Fraktionen müssen sich bei der jährlichen und regelmäßig heftigen Kritik am Haushaltsentwurf die Frage gefallen lassen, warum man bei so viel offensichtlicher Unzufriedenheit in der Vergangenheit die Möglichkeit des politischen Hebels nicht genutzt, sondern die kritisierten Entscheidungen zumindest mehrheitlich mitgetragen hat. Hier muss man sich ein Stück weit an die eigene Nase fassen und über die eigene politische Arbeitsweise nachdenken. Erst am Ende des Jahres im Rahmen der Haushaltsverabschiedung mit großem Kaliber zu schießen ist nicht nur zu spät, sondern auch unglaubwürdig und schlicht unfair.

In der letzten Haushaltsrede hatten wir den Schwerpunkt auf die Schuldenentwicklung der letzten 10 Jahre gelegt, dieses Problem wurde inzwischen auch von der Presse ausreichend bedient. Dieses Jahr fällt unser Beitrag etwas entspannter aus, auch und vor allem, weil wir diesen Abend nicht für einen Wahlkampf um das Amt des Oberbürgermeisters nutzen.
Die wichtigsten Zahlen wurden von Kämmerer Landwehr und den FraktionssprecherInnen ausführlich genannt. Wir werden die vielen schwarzen und roten Zahlen daher nicht nochmals aufzählen, sondern uns auf das Wesentliche beschränken. Und das Wesentliche an einem Haushaltsentwurf ist die Festlegung und Zielsetzung, also in welche Richtung sich die Stadt Sinsheim entwickeln soll.
Dazu gibt es aus unserer Sicht wie immer eine ganze Liste – wie ich es an dieser Stelle nennen möchte – an „kleinen Grausamkeiten“. Um dies umfassend zu erläutern, müsste man den Haushalt nochmals Position für Position behandeln, was am heutigen Abend den Zeitrahmen bei Weitem sprengen würde, daher beschränken wir uns auf einzelne Beispiele zu bestimmten Themen und Aufgabenfeldern.
Mit der Einführung der Doppik wird der Haushalt künftig nicht nur transparenter, sondern auch ehrlicher. Zurzeit wird ein großes Problem nicht in Zahlen erfasst: Die Stadt lebt von der Substanz. Das zeigt sich ganz deutlich bei Veräußerungen der städtischen Gebäude im Rahmen der Immobilienbörse. Als vereinfachtes und fiktives (und absichtlich zur Erläuterung sehr übertriebenes) Beispiel: Wurde der Verkehrswert mit EUR 100.000,- ermittelt und es fand sich nur ein Höchstbieter mit einem Gebot von EUR 50.000,- und dieser bekam den Zuschlag, so schlägt dieser Verkauf in der noch angewandten kameralistischen Haushaltsführung mit diesen EUR 50.000,- positiv zu Buche. Nicht bewertet wird der ursprüngliche Bestandswert. Mit der Doppik würde der ermittelte Wert von EUR 100.000,- gegen gerechnet, der Verkauf würde unter diesen Bedingungen also als Verlust statt Gewinn dargestellt.
Aus dieser Problematik heraus erklärt sich auch mein konsequentes Abstimmungsverhalten bezüglich der Veräußerungen im Rahmen der Immobilienbörse.

Ein ähnliches Problem gilt bei Sanierungsstau. Gebäude verlieren mit der Zeit ganz selbstverständlich an Wert, es müssen irgendwann Fassade, Fenster, Heizung etc. erneuert werden. Diese Investitionen dienen dem Werterhalt, werden sie nicht rechtzeitig getätigt, verlieren Immobilien nicht nur an Wert, man schafft sich weitere Probleme und Folgekosten durch überproportional steigenden Sanierungsbedarf. Diese nicht getätigten Ausgaben stellen sich trotz des Wertverlusts im Immobilienbestand im Haushalt positiv dar. Ein deutliches Beispiel ist das Gebäude in der Würzburger Straße in Eschelbach. Dort wird inzwischen andiskutiert, noch etwas zu abwarten, um später die Immobilie abzubrechen und neu zu bauen.
Auf die Spitze getrieben könnte man also sagen, dass man mit Veräußerungen und Sanierungsstau den Haushalt zurzeit noch ein Stück weit schönen kann.

Viel investiert wurde die letzten Jahre bei Schulen, Kindertagesstätten und der Kleinkindbetreuung. Auch in diesem Haushaltsentwurf finden sich Maßnahmen, wie z.B. die dringendst notwendige Sanierung der sanitären Anlagen in der Dührener Schule. Der Bildungsbereich – und dazu zählt für uns schon die Kleinkindbetreuung – bleibt weiterhin eine große Aufgabe und Herausforderung für uns alle, die Wichtigkeit von Investitionen in unsere Kinder und damit unser aller Zukunft wird aber auch von niemandem ernsthaft angezweifelt und in Frage gestellt werden.
Die neue Landesregierung sieht hier ebenfalls dringenden Handlungsbedarf und hat bei der Bildung einen ihrer Schwerpunkte gesetzt, übernimmt dabei aber nicht nur die politische Verantwortung, sondern bearbeitet auch die finanzielle Verpflichtung sehr ernsthaft. So steigen z.B. die Zuweisungen für die Kleinkindbetreuung ganz erheblich und das Personalproblem in den Schulen wird entschärft.
Davon profitiert auch die Große Kreisstadt Sinsheim schon im kommenden Jahr.
Wir bedauern, dass die Stelle des Streetworkers nicht neu besetzt wurde. Allerdings wird im Rahmen des Fanprojekts ein Großteil der Arbeit auf der Straße geleistet werden. Wir begrüßen dies als wichtige Präventivmaßnahme, deren Erfolge und Auswirkungen sich natürlich nicht in Euro und Cent beziffern lassen. Es handelt sich dabei also nicht um Sportförderung, sondern in erster Linie um Sozialarbeit. Wir warten gespannt auf die ersten Tätigkeitsberichte.
Aber hinter den Slogan der „Sportstadt Sinsheim“ möchten wir ohnehin ein großes Fragezeichen setzen. Sport ist gut, Sport ist wichtig, Sport ist sinnvoll – keine Frage. Solange es sich um Breitensport der vielen Vereine und somit um ein Freizeitangebot für alle handelt, vom Kleinkind bis zur Rentnerin oder Rentner. Bei der Förderung des Spitzensports muss der gewährte Finanzrahmen jedoch weitaus kritischer betrachtet werden. Wir sehen Sinsheim auch nicht als „Sportstadt“, wir möchten ein Sinsheim mit vielfältigen und ausreichenden Auswahlmöglichkeiten in allen Freizeitbereichen – auch bei Kunst und Kultur. Wir bekennen uns deswegen ganz deutlich zur Volkshochschule und zur Städtischen Musikschule, verwehren uns dabei aber nicht den Diskussionen zur Finanzierbarkeit, solange dies nicht auf Kosten des Angebots und der Qualität und damit der Attraktivität dieser Einrichtungen geht und die in anderen Haushaltsbereichen zur Verfügung gestellten Finanzmittel in den Diskussionen nicht unberücksichtigt bleiben.Attraktivität ist auch das Stichwort bei der Stadtentwicklung. Natürlich tragen neue Großprojekte zur Attraktivität einer Stadt bei. Aber: In erster Linie für die Unternehmer und eher für Menschen aus dem Umland und nicht in erster Linie für unsere Einwohnerinnen und Einwohner. Hier sollten attraktive und lebendige Ortskerne in den Teilorten und der Kernstadt bei allen Planungen priorisiert werden.
Es geht auch dabei um Wachstum. Aber nicht um Wachstum in der Fläche und Ausdehnung der Stadt, sondern um Wachstum an Zufriedenheit, an Glück und Wohlbefinden und damit auch in der Verbundenheit zur Sinsheim. Dies würde fast zwangsläufig zu mehr Engagement unserer Bürgerinnen und Bürger führen und könnte mit mehr Transparenz bei der politischen Entscheidungsfindung und Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung auch zu einer Entschärfung der Finanzierbarkeit gerade bei den Freiwilligkeitsleistungen führen. Und unter diesem Bezug muss man die Entwicklung sehr kritisch hinterfragen. Gerade auch weil die Beispiele des Krematoriums in Reihen und des Hallen- und Wellnessbads in der Kernstadt bewiesen haben, dass die Stadt von Bürgerbeteiligung profitiert. Beim Krematorium wurde in der geplanten Anlagentechnik nachgebessert, beim Hallen- und Wellnessbad die Verträge nachverhandelt.

Wir ziehen mit unseren Maßnahmen und Projekten aber immer mehr Verkehr an. Der Lösungsvorschlag lautet dann in der Regel: Straßenbau. Doch mit jeder neuen Straße steigt die Attraktivität des Individualverkehrs und fördert somit eine Zunahme des Gesamtverkehrsaufkommens, die Situation für Fußgänger und Radfahrer verschärft sich hingegen zunehmend. Es handelt sich hierbei um eine unheilvolle Spirale aus Ursachen und Wirkungen und die Lösungen können daher nicht auf Baumaßnahmen wie die Osttangente hinauslaufen.
Verkehrszunahme und Flächenverbrauch haben enorme Auswirkungen auf unsere Umwelt und Natur. Nicht nur wegen der direkten Emissionen und Immissionen wie Schadstoffen in Luft, Boden und Grundwasser und zunehmender Lärmbelastung etc., sondern auch wegen der Zerschneidung der Landschaft oder gar Umgestaltung der Landschaft wie im Industriegebiet Sinsheim-Süd, Flächenverbrauch und Zerstörung oder Beeinträchtigung von Lebensraum für Flora und Fauna.
Dies stellt im Außenbereich auch ein zunehmendes Problem beim Erholungswert dar. Beispielsweise wird das Wiesental als wichtiges Naherholungsgebiet von Bebauung aus Richtung Steinsfurt zunehmend in die Zange genommen.
Besonders kritisch müssen wir die Auflagen und Ausgleichsmaßnahmen beim Flächenverbrauch betrachten, wenn man die oftmals zeitverzögerte und mangelhafte Umsetzung und Kontrolle bedenkt und wenn im Nachhinein über die Finanzierung diskutiert wird – beispielsweise ob ein Ersatz für abgängige Straßenbäume in Wohngebieten notwendig ist oder ob das Feldlerchen-Monitoring in ausreichendem Umfang durchgeführt werden soll.
Umwelt und Natur werden ohnehin meist nicht so berücksichtigt, wie dies für die Erhaltung unser aller Lebensgrundlagen notwendig wäre. Kürzungen und Streichungen im Nachhinein bei solch harten Kompromisslösungen tragen wir nicht mit!
Im Gegenteil, wir halten den Bereich Umwelt und Natur im Entwurf der Haushaltssatzung 2012 nicht ausreichend berücksichtigt.

Ein positiver Ansatz ist das Melap+ Programm zur innerstädtischen Nachverdichtung. Hier sollte dem Gremium aber erst ein schlüssiges Gesamtkonzept vorgestellt werden, statt Einzelmaßnahmen in den Haushalt einzustellen. Damit könnte vermieden werden, dass aus „gut gedacht“ später vielleicht „schlecht gemacht“ wird. Die eingestellten MelapMittel tragen wir mit, auch unter dem Aspekt, dass man diese später vielleicht für sinnvollere Maßnahmen im Rahmen eines Melap+ Gesamtkonzepts umschichten könnte.

Verkehr, Bebauung und damit Flächenversiegelung stellen zukünftig zunehmend ein ernsthaftes Problem einer gesicherten und qualitativ hochwertigen  Trinkwasserversorgung dar. Dies wird ganz besonders auch die Stadtwerke finanziell  treffen. Deren Wirtschaftsplan sieht im ersten Moment erschreckend aus, es finden sich  aber einige gute und notwendige und unvermeidbare Investitionen.Vorgezogene Maßnahmen im Kanal- und Leitungsbau stellen zwar eine enorme finanzielle Belastung dar, jedoch wären diese Arbeiten in den kommenden Jahren ohnehin notwendig geworden und es macht daher durchaus Sinn, diese Arbeiten vorzuziehen und im Zusammenhang des Baus des Nahwärmenetzes der AVR durchzuführen, was bei Nutzung dieses Synergieeffekts auch zu Einsparmöglichkeiten führt.
Wir begrüßen ausdrücklich die Einführung der gesplitteten Abwassergebühren als alte Grüne Forderung. Dies dient nicht nur der Gebührengerechtigkeit nach dem Verursacherprinzip sondern wird auch dazu führen, künftig vermehrt Regenwasser für alltägliche Dinge wie Toilettenspülung, Waschmaschine oder Gartenbewässerung zu nutzen, statt dafür wertvollstes Trinkwasser zu verschwenden. Inwieweit die gesplitteten Abwassergebühren als Anreiz für größere Flächenentsiegelungen in spürbarem Ausmaß für die Grundwasserbildung und Hochwassergefahrenentschärfung ausreichen, wird die nahe Zukunft zeigen müssen.
Wir hatten lange und ausführliche Diskussionen zum Haushaltsentwurf 2012 auch außerhalb des Gremiums geführt und jedes Ratsmitglied kann und sollte aus den eingestellten Mitteln zu den Einzelpositionen seine ganz persönlichen Schlüsse ziehen – dies wird sich auch in unserem Abstimmungsverhalten widerspiegeln.
Ich bedanke mich für die Zusammenarbeit mit der gesamten Verwaltung ganz gleich in welcher Position, den Ratskolleginnen und Ratskollegen sowie für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche allen Anwesenden besinnliche Feiertage!

 

Stefan Seitz 

Stadtrat Bündnis 90/Die Grünen

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